Der Runde Tisch gegen Kinder- und Familienarmut wendet sich wenige Wochen vor der Europawahl und anlässlich der Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) mit einem Brief an die Abgeordneten des EU-Parlaments und die Kandidierenden. Im Fokus dabei: Die Situation von geflüchteten Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Es werden fünf Forderungen zur Verbesserung von deren Situation formuliert.
Der Brief endet mit dem Appell:
Machen Sie sich stark für eine Umkehr von der derzeitigen Politik der Menschenverachtung gegenüber Schutzsuchenden sowie von rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Ressentiments. Setzen Sie sich für eine Rückbesinnung auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik ein!
Außerdem wurden die verantwortlichen Landespolitiker:innen angeschrieben mit dem Ziel eine Verbesserung der Situation in den Landesunterkünften zu erwirken.
Oberbürgermeisterin Katja Dörner
Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Schreiben vom 01. Juli 2024, in dem Sie auf die Situation in den
Bonner Landesunterkünften hinweisen und Maßnahmen für den Schutz der Kinder und Jugendli-
chen fordern.
Der seit Jahren bestehende Zustrom von Geflüchteten ist nicht nur für die Länder, Kommunen und Gesellschaft, sondern insbesondere auch für die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, eine große
Herausforderung. Dabei ermöglicht eine sichere, gesunde und menschenwürdige Unterkunft allen
Schutzsuchenden, sich sicher zu fühlen und die oft traumatischen Erlebnissen der Flucht besser zu
verarbeiten. Gleichzeitig ist eine angemessene Lebensumgebung auch die Grundlage für eine po-
sitive Entwicklung und Integration. Es ist mir ein großes Anliegen, dies bei unseren städtischen
Unterkünften bestmöglich sicherzustellen.
Da die Unterbringung von Geflüchteten in den Landesunterkünften dem Land NRW obliegt, gehe
ich davon aus, dass Sie von der dort zuständigen Stelle eine Rückmeldung auf Ihr Schreiben erhal-
ten werden.
Ich danke Ihnen für Ihr großes Engagement und dass Sie sich für die Belange der Kinder und Ju-
gendlichen, die besonders schutzbedürftig sind, einsetzen.
Dr. Thomas Wilke, Regierungspräsident
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 01.07.2024, um dessen Beantwortung mich der Regierungspräsident Dr. Wilk gebeten hat.
Die Unterbringung von Geflüchteten und speziell von Familien und Kindern stellt eine Herausforderung dar, bei der die besonderen Interessen und Bedürfnisse der Familien und Kinder in Einklang mit den tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten vor Ort gebracht werden müssen. Das Land und die Kommunen stehen hierbei vor der Aufgabe, Obdachlosigkeit zu vermeiden und die Geflüchteten menschenwürdig und unter Beachtung der von Ihnen genannten Vorschriften unterzubringen. Dies ist insbesondere in Zeiten hoher Zuzugszahlen von Geflüchteten eine besondere Herausforderung.
Das Landesgewaltschutzkonzept trägt den besonderen Interessen und Bedürfnissen der Geflüchteten Rechnung und soll eine familien- und kindgerechte Unterbringung gewährleisten, weshalb die Umsetzung des Landesgewaltschutzkonzeptes grundsätzlich in jeder Einrichtung — auch in den Landesunterkünften in Bonn — höchste Priorität genießt. Die Vorgaben finden bei allen Um- und Ausbauprojekten sowie im laufenden Betrieb Anwendung. Sie binden nicht nur die Bezirksregierungen, sondern auch allé in den Landesunterkünften eingesetzten Dienstleister. Die Umsetzung des Landesgewattschutzkonzepts wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort sowie durch Mobile Kontrollteams regelmäßig kontrolliert. Den Geflüchteten steht vor Ort in jeder Unterkunft auch ein Beschwerdemanagement zur Verfügung, um Probleme frühzeitig zu erkennen und zu lösen.
Unterbringung von Familien in der EAE Bonn
Betreffend die Verweildauer von Personen in der EAE Bonn ist es zutreffend, dass die Unterbringungsdauer der Geflüchteten in der Regel 2
Nur im Ausnahmefall sind Personen länger als 4 Wochen in der EAE untergebracht, weil beispielweise der Verdacht auf eine Tuberkulose-Erkrankung vorliegt.
Zur konkreten Unterbringung von Familien, Kindern und alleinreisenden
Frauen in der EAE Bonn kann ich Ihnen mitteilen, dass alleinreisende Frauen ausschließlich in einem separierten Flur bzw. einem separaten Gebäudeteil nur für Frauen untergebracht werden. Der Flur dieses Frauenbereichs ist mit mehreren Notrufklingetn gesichert, welche bei Betätigung direkt den Sicherheitsdienst alarmieren. Familien werden ebenfalls ausschließlich in separaten Familienfluren untergebracht. Hierbei erhält jede Familie grundsätzlich ein eigenes Zimmer.
Aufgrund der baulichen Gegebenheiten der EAE Bonn befinden sich die Sanitäreinrichtungen in Containern im Hof der Einrichtung, wobei auch hier ein separater Bereich im Erdgeschoss nur für Frauen zur Verfügung steht.
In der EAE Bonn findet zudem an Werktagen morgens und nachmittags eine Kinderbetreuung statt, sodass die Kinder auch bei behördlichen Terminen der Eltern betreut werden können.
Außerdem finden zweimal wöchentlich Deutschkurse für Kinder und Jugendliche statt.
Unterbringung von Familien in der ZUE Bonn
Familien dürfen in einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) nicht länger als sechs Monaten untergebracht werden. In vielen Fällen gelingt es, die Geflüchteten deutlich schneller den Kommunen zuzuweisen. In dieser Zeit finden auch — jedenfalls unter der Gruppe der Familien — nur in seltenen Fällen Abschiebungen statt, dann in der Zuständigkeit der Zentralen Ausländerbehörde Köln. Es handelt sich bei der ZUE Bonn auch nicht um eine Einrichtung, in der in besonderem Maße Geflüchtete mit schlechter Bleibeperspektive untergebracht werden. Für alle Geflüchteten und auch die Familien gibt es auch in der ZUE Beratungsund Unterstützungsangebote.
Während ihres Aufenthaltes in der ZUE gibt es durchaus Möglichkeiten zum Rückzug und zur Erholung. Familien — wie auch alleinreisende Frauen — werden grundsätzlich in nur für diese Personengruppe bestimmten Gebäudetrakten untergebracht. Es wird außerdem besonders darauf geachtet, dass Familien unter sich in eigenen Zimmern untergebracht werden, gerade um den Bedürfnissen nach Privatsphäre gerecht zu werden.
In der Unterkunft wird ein breites Angebot an Aktivitäten für Frauen, 3 Kinder und Jugendliche vorgehalten. Neben einem Frauencafé und einem Jugendcafé gibt es einen Bewegungsraum, in dem u.a. das KiTaähnliche Bildungsangebot veranstaltet wird. Es gibt weiterhin eine Vielzahl von Aufenthaltsräumen und Sportangeboten, z.B. ein Fußballund ein Volleyballfeld, Tischtennisplatten, einen Basketballkorb sowie einen Sandkasten. Im Zuge der zurzeit erfolgenden Erweiterung hat die Bezirksregierung darauf geachtet, das Angebot an Sozialräumen deutlich auszuweiten. So ist u.a. geplant, einen neuen Spielplatz sowie einen Bibliotheks- und Ruheraum einzurichten.
Außerdem gibt es eine Vielzahl von weiteren Angeboten. Neben einer Fahrradwerkstadt und einem Fahrradtraining werden den untergebrachten Kindern in unregelmäßigen Abständen Ausflüge ermöglicht, zum Beispiel auf den Drachenfels oder in den Kölner Zoo, oder Sonderaktionen mit Kooperationspartnern veranstaltet.
Im Rahmen des Schulnahen Bildungsangebotes sind insgesamt fünf Lehrkräfte in Vollzeit in der ZUE beschäftigt. Auch für dieses Angebot, das die Kinder auf den Besuch einer Regelschule vorbereitet, gibt das Land Qualitätsstandards vor. Der Schwerpunkt des Angebots liegt in der Vermittlung der deutschen Sprache und bei Bedarf bei der
Alphabetisierung. Besonders durch die Förderung der deutschen Sprache erhalten die Kinder und Jugendlichen eine wichtige Unterstützung, um sich in der für sie noch neuen Umgebung besser zu orientieren und miteinander zu kommunizieren. Ihnen werden zudem Kenntnisse in Mathematik, in Gesellschaftslehre und in Natuwissenschaften vermittelt. Die Unterrichtsinhalte und Rahmenbedingungen beruhen auf einem pädagogischen Konzept des Ministeriums für Schule und Bildung.
Im Rahmen des KiTa-ähnlichen Angebotes werden drei Vollzeitkräfte eingesetzt. Neben der Sprachentwicklung legen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hierbei auch auf das Thema Ernährung großen Wert und frühstücken beispielsweise gemeinsam mit den Kindern.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Jessica Rosenthal, MdB SPD-Fraktion
Reaktionen
Karin Langer, Kandidatin Volt: „Herzlichen Dank für die ausführliche Ausführung der Forderungen im Namen der Menschenrechte. Ich kann Ihnen versichern, dass ich sämtliche Forderungen vollumfänglich unterstütze!“
Julia Höller, MdL Fraktion Bündnis 90/Grüne
Dr. Julia Höller MdL, stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sprecherin für Innenpolitik Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag NRW: „Vielen Dank für Ihren Einsatz zur Bekämpfung der Kinder- und Familienarmut. Als Mutter zweier Kinder liegt mir das Thema sehr am Herzen und ich unterstütze sehr, dass sie dieses Thema aus den verschiedensten Perspektiven betrachten.
Ihre Kritik an der derzeitigen Anwendung und den Auswirkungen der Schuldenbremse sowie Ihre Aufforderung zur Neudefinierung des Investitionsbegriffs habe ich mit Sorgfalt und großem Verständnis für Ihr Anliegen gelesen. Es ist wichtig, dass das Thema Schuldenbremse differenziert betrachtet wird. Im Kern ist eine Begrenzung der Schuldenlast für künftige Generationen richtig und trägt dem Gedanken der Generationengerechtigkeit Rechnung. Als Politikerinnen und Politiker sind wir jedoch auch dafür verantwortlich, dass wir die Generationengerechtigkeit aus umwelt-, klima-, und sozialpolitischer Sicht gewährleisten. Einen Investitionsbegriff der die „Zukunftsfähigkeit des Landes“ in den Fokus stellt, halte ich daher für sinnvoll.
Aus unserer Sicht ist die Schuldenbremse, wie sie derzeit im Grundgesetz festgehalten ist, zu starr und ermöglicht es uns als Land nicht, flexibel und nachhaltig zwischen wichtigen Investitionen für die Zukunft und laufenden Ausgaben zu unterscheiden. Dementsprechend setzen wir uns für eine Aussetzung der Schuldenbremse ein. Auch kreditfinanzierte Investitionen können nach sorgfältiger Abwägung in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit sein, finanzielle Spielräume zu schaffen.
Darüber hinaus setzen wir uns als Grüne in der Koalition auf Landesebene dafür ein, dass der Bereiche des Kinder- und Jugendschutzes in der Haushaltsdebatte priorisiert wird. Trotz aller Bemühungen zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die verfügbaren Mittel nicht ausreichen werden, um die Zukunftsfähigkeit für künftige Generationen zu erhalten. Das Thema Schuldenbremse wird in den kommenden Diskussionen eine zentrale Rolle spielen. Dabei werden wir uns als Grüne weiter vehement für eine Aufweichung der Schuldenbremse einsetzen und freuen uns, sie bei diesem Thema an unserer Seite zu wissen.
Reaktionen
Franziska Müller-Rech, MdL FDP-Fraktion im Landtag NRW: Vielen Dank für Ihren Brief zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Landesunterkünften. Ich schätze die Arbeit des Runden Tisches gegen Kinder- und Familienarmut sehr. Gerne nehme ich im Folgenden zu Ihren Forderungen Stellung.
Es ist sinnvoll, sich an den gesetzlichen Vorgaben in § 47 AsylG zu orientieren, wonach die Dauer der Wohnverpflichtung von minderjährigen Asylsuchenden und ihren Eltern auf sechs (und nicht auf drei) Monate beschränkt ist. Eine frühere Zuweisung an die Kommunen würde diese noch mehr überfordern, um Unterbringung und Kinderbetreuung bzw. Schulunterricht zu organisieren. Zudem sollten Familien, bei denen eine zeitnahe Ausreise bzw. Rückführung zu erwarten ist, nicht auf die Kommunen verteilt werden.
Kinder und Jugendliche erhalten in den zentralen Unterbringungseinrichtungen ein schulnahes Bildungsangebot, das auf den Besuch einer Regelschule vorbereiten soll. Der Unterricht wird durch Lehrkräfte des Landes durchgeführt. Der Schwerpunkt des Unterrichts liegt in der Vermittlung der deutschen Sprache und bei Bedarf der Alphabetisierung. Der Unterricht vermittelt außerdem Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in Mathematik, in Gesellschaftslehre und in Naturwissenschaften. Die reguläre Schulpflicht kann hingegen erst nach Zuweisung an die Kommunen greifen. Dies ist so auch in § 10 Abs. 3 des Teilhabe- und Integrationsgesetzes vorgegeben, das mit den Stimmen aller demokratischen Fraktionen beschlossen wurde.
Eine europaweite Ausschreibung der Leistungsvergabe für die Betreuung in den Unterkünften ist schon allein aus wirtschaftlichen Gründen für das Land sinnvoll. Eine Unterbringung in den Landeseinrichtungen ist sicher mit Unannehmlichkeiten für die Betroffenen verbunden, aber zeitlich begrenzt und im Hinblick auf eine geordnete Migrationspolitik sowie zur Entlastung der Kommunen erforderlich.