Ilja Bergen, Die Linke


1. Kindergrundsicherung

Zentrale Forderung des RTKA zur Bekämpfung von Kinderarmut ist die Einführung einer Kindergrundsicherung, deren Höhe die Lebenshaltungskosten (inklusive sozio-kulturelles Existenzminimum) eines Kindes bzw. Jugendlichen umfassend absichert. Sie soll so gestaltet sein, dass der Empfang von Grundsicherung nach SGB II damit überflüssig wird.

Was ist das Konzept Ihrer Partei zum Thema Kindergrundsicherung? Wie stehen Sie dazu?

In Deutschland leben etwa 1,9 Millionen Kinder unter 18 Jahren in Hartz-IV-Haushalten. Kinderarmut ist auch eine direkte Folge von kleingerechneten Regelsätzen. Außerdem wird Kindergeld als Einkommen dem Bedarf angerechnet. Ich finde das ein Skandal. Zumal häufig die falsche Annahme vorherrscht, Menschen im Leistungsbezug würden ja auch noch Kindergeld bekommen. Hinzu kommt die verdeckte Kinderarmut. Weil die Leistungsbeantragung so demütigend organsiert ist, verzichten viele darauf oder wissen gar nicht, was ihnen zusteht. Wir wollen eine Kindergrundsicherung, die alle Kinder aus der Armut holt und nicht umständlich beantragt werden muss. Dazu wollen wir das Kindergeld von aktuell 219 Euro für das erste Kind auf 328 Euro für jedes Kind erhöhen. Dieses Kindergeld wird weder beim Bezug von Sozialleistungen noch im Steuerrecht als Einkommen gewertet. Kinder aus armen Familien erhalten, je nach Alter des Kindes, zusätzlich bis zu 302 Euro.


2. Teilhabe junger Menschen

Der Runde Tisch gegen Kinder- und Familienarmut (RTKA) spricht sich in seinem Forderungspapier für einen umfassenden Ausbau der Teilhabe junger Menschen als Teil der Daseinsvorsorge und – fürsorge aus.

Welche Maßnahmen zur Stärkung der Teilhabe junger Menschen wollen Sie durchsetzen, wenn Sie Mitglied des Bundestages werden?

Zunächst einmal ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich direkt in den Bundestag einziehen werde. Ich kämpfe um die Zweitstimmen, damit sich die gesamte Linke Fraktion möglichst zahlreich für Kinderrechte stark machen kann. Die Kindergrundsicherung solle den finanziellen Aspekt der Kinderarmut bekämpfen, aber das reicht ja nicht. Es braucht auch Angebote. ÖPNV, Jugendzentren, Musikschulen oder Bäder müssen für Kinder möglichst gebührenfrei sein. Einmalige besondere Bedarfe wie z.B. Klassenfahrten oder IT-Ausstattung müssen übernommen werden.


3. Kommunalfinanzen

Ob Schule, Jugendhilfe, Sozialwesen oder Freizeitangebote – für die Bereitstellung und Finanzierung dieser sozialen Infrastruktur sind in erster Linie die Kommunen verantwortlich. Die finanzielle Ausstattung der Kommunen ist nicht ausreichend, um die nötige soziale Infrastruktur allen jungen Menschen zugänglich zu machen und weiter zu entwickeln.

Wie wollen Sie das ändern? Wo sehen Sie einen besonderen Handlungsbedarf?

Zunächst einmal ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich direkt in den Bundestag einziehen werde. Ich kämpfe um die Zweitstimmen, damit sich die gesamte Linke Fraktion möglichst zahlreich für Kinderrechte stark machen kann. Die Kindergrundsicherung solle den finanziellen Aspekt der Kinderarmut bekämpfen, aber das reicht ja nicht. Es braucht auch Angebote. ÖPNV, Jugendzentren, Musikschulen oder Bäder müssen für Kinder möglichst gebührenfrei sein. Einmalige besondere Bedarfe wie z.B. Klassenfahrten oder IT-Ausstattung müssen übernommen werden.


4. Förderung der Ausbildung

Der RTKA spricht sich dafür aus, die unterstützenden Beträge (Bafög und Berufsausbildungsbeihilfe) für sich in Ausbildung oder Studium befindliche junge Menschen so zu erhöhen, dass eine Konzentration auf das Studium oder die Ausbildung möglich ist.

Wie stehen Sie dazu? Welche Maßnahmen würden Sie ergreifen?

Lang ist es her, aber das BAföG war mal ein Zuschuss, den man nicht zurückzahlen musste und erreichte über 40% der Studierenden. Heute erhalten 11% der Studierenden BAföG und eine Anhebung des BAföG-Kinderbetreuungszuschlags um 10 Euro wird als großer Wurf verkauft. Wir wollen ein elternunabhängiges und rückzahlungsfreies BAföG in Höhe von 1.200 Euro. Das ist deckungsgleich zu unserer Forderung nach einer sanktionsfreien Mindestsicherung und ermöglicht die Konzentration auf die Ausbildung, ohne später mit Schulden ins Berufsleben zu starten. Bei schulischen Ausbildungsberufen muss zusätzlich das Schulgeld entfallen und die Mindestvergütung für Auszubildende muss erhöht werden.


5. Bezahlbarer Wohnraum

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist ein zentrales Problem unserer Städte. Wie kann für einkommensschwache Familien und junge Menschen preiswerter Wohnraum geschaffen werden?

Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die BImA ihre Wohnungen wieder in einem bewohnbaren Zustand versetzt und diese für den kommunalen Wohnungsmarkt frei gibt?

Werden Sie sich dafür einsetzen, dass der Bund als einer der größten Arbeitgeber in Bonn Wohnungen für seine Bediensteten schafft und damit den Wohnungsmarkt entlastet?

Der Wohnungsmarkt ist der beste Beweis, dass der Markt es eben nicht regelt. Wohnen ist ein Menschenrecht und Gewinninteressen eben nicht. Darum muss vor allem die öffentliche Hand geförderten Wohnraum bauen und eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft schaffen.

Mit dem schon angesprochene Re-kommunalisierungsfond kann der Bund auch Bonn die Mittel zur Verfügung stellen, um Flächen zurückzunehmen und mit einer eigenen Stadtentwicklungsgesellschaft zu entwickeln. Wir wollen pro Jahr bundesweit 250 000 bezahlbare Wohnungen schaffen und 10 Milliarden in die ökologische Modernisierung von Gebäuden investieren. Wir wollen den genossenschaftlichen Wohnungsbau stärken und gesetzlich festhalten, dass einmal geforderter Wohnraum dauerhaft Mietpreis gebunden bleibt.

Das Bonn/Berlin Gesetz regelt dem Umzug der Hauptstadt von Bonn nach Berlin und enthält Kompensationen für Bonn zum Beispiel in den Bereichen Wissenschaft und Kultur. Leider findet sich dort nichts zum Thema Wohnungsbau. Entgegen der Vereinbarung werden aber zunehmend Stellen von Bonn nach Berlin verlegt und damit Tatsachen geschaffen. Ich finde eine Zusatzvereinbarung zum Bonn/Berlin-Gesetz, der die weggefallen Stellen durch Investition in Wohnraum kompensiert einen interessanten Ansatz.


6. Bewältigung der Corona-Folgen

Besonders für junge Menschen sind die in der Corona-Krise notwendigen Beschränkungen eine enorme Belastung. Unsere Bildungsinfrastruktur ist nicht auf eine solche Krise ausgelegt. Familien, die bisher schon in Armut lebten oder von ihr bedroht sind, verlieren immer mehr den Anschluss an die soziale Teilhabe.

Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um unsere Kitas, Schulen, Jugendeinrichtungen usw. für die Bewältigung der Pandemie auch für die Zukunft fit zu machen? Wo sehen Sie einen besonderen Handlungsbedarf?

Die Bundesregierung hat jüngst ein „Aufholpaket zur Abfederung der Pandemiefolgen“ beschlossen und mit  zwei Milliarden Euro ausgestattet. Ein absurd lächerlicher Betrag, wenn man sich anschaut, dass allein die Lufthansa mit neun Milliarden Euro gerettet wurde. Die Teilhabe-Pakete müssen nicht nur finanziell aufgestockt werden, sondern auch einfach zugänglich sein. Viele arme Eltern wissen gar nicht, was sie für ihre Kinder beantragen können, weil zum Beispiel die Job-Center ihrer Beratungspflicht nicht nachkommen. Die eigentliche Beantragung erweist sich dann als so bürokratisch, dass viele Eltern resigniert aufgeben. Das hat System und durchzieht die gesamte Praxis im sozialen Bereich. Man macht es den Leistungsberechtigten so schwer und unangenehm wir möglich. Viele Kinder landen darum auch in verdeckter Armut und leben in Haushalten die anspruchsberechtigt sind, aber keine Leistungen beantragen.


7. Psycho-soziale Gesundheit von jungen Menschen

Durch die Corona-Pandemie und ihrer sozialen Folgen ist die Zahl der psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen und damit familiäre Probleme in unserer Gesellschaft nochmals erheblich gestiegen. Dieses Thema wird uns noch lange beschäftigen.

Wie kann zukünftig (auch über die jetzige Corona-Krise hinaus) die psycho-soziale Gesundheit und Versorgung von Kindern und Jugendlichen und deren Familien gewährleistet werden?

Fehlende soziale Kontakte, Bewegungsmangel, beengte Wohnverhältnisse und Zukunftsängste können vor allem bei Kindern psychische Probleme auslösen. Angstzustände, Verlustängste, sozialer Rückzug oder Schlafstörungen sind Symptome bei Kindern, die durch den langen Winter-Lockdown entstanden sind und professionell behandelt werden müssen. Wir brauchen neben einem gut ausgestatten Bildungspaket, auch ein ebenso gut ausgestattetes Paket, aus dem Eltern Therapieangebote für Ihre Kinder abrufen können. Diese Angebote müssen aktiv beworben und angeboten werden.
Auch über die Krisenbewältigung hinaus müssen diese Angebote bestehen bleiben. Den vor allem Kinder, die in Armut aufwachsen haben ein höheres Risiko eine psychische Erkrankung zu erleiden.