Christian Gold, Stadtverordneter für Villenviertel und Rüngsdorf, Obmann für Kinder, Jugend und Familie der CDU-Ratsfraktion Bonn, Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses der Bundesstadt Bonn


Welchen Stellenwert hat die Bekämpfung von Kinderarmut für Sie?

​In unserer Stadt leben überdurchschnittlich viele Menschen mit gutem Einkommen. Bonn verfügt über eine ausgezeichnete Infrastruktur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Dennoch gibt es auch in Bonn Familien und Kinder, die am Wohlstand unserer Gesellschaft nicht teilhaben können. Diesen Kindern müssen und wollen wir helfen, damit sie ihre persönlichen und individuellen Fähigkeiten entwickeln können und ihnen Chancen für ein gerechtes Aufwachsen ermöglichen. Dafür unternehmen wir alle, Politik und Verwaltung, Rat und Fachausschüsse auf unserer, der kommunalen Ebene seit Jahren zahlreiche Anstrengungen auf vielen Feldern.


Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Punkte/kommunalen Maßnahmen, um Kinderarmut zu bekämpfen?

Wer Kindern und Jugendlichen ein gerechtes Aufwachsen ermöglichen will, muss ganzheitlich in Teilhabe, Bildung, Gesundheit und Integration investieren. Dazu ist sowohl der Ausbau der Betreuungsplätze in Kita und OGS und die qualitative Stärkung der Betreuung wichtig. In Zeiten von Corona und von Lernen auf Distanz ist die Ausstattung mit modernen digitalen Lernmitteln wichtig. Die gezielte Unterstützung von Familien bei (drohender) Armut. Dies muss präventiv in den Quartieren und in den Lebensräumen der Kinder erfolgen.

Dieses Konzept verfolgen Rat und Verwaltung mit allem Nachdruck.

 


Mit welchen Maßnahmen und Strategien werden Sie der materiellen Unterversorgung begegnen? Was wollen Sie insbesondere tun, um die materiellen Voraussetzungen für ein bedarfsgerechtes Wohnen, eine gesunde Ernährung, umfassende Bildung und Teilhabe junger Menschen und Familien zu sichern?

Neben der Umsetzung von Einzelmaßnahmen und Projekten sind vor allem nachhaltige Strategien auf Dauer notwendig, um Kinder bzw. deren Familien benachteiligter Bevölkerungsgruppen möglichst früh zu erreichen.

Im Sinne der Nachhaltigkeit stehen die Stärkung und der Ausbau der Regeleinrichtungen im Vordergrund.

So ist die Versorgungsquote im U3 und Ü3 Bereich in den letzten Jahren wesentlich gestiegen und seit 2016 haben wir fast 1000 neue Plätze (Ohne Tagespflege!) geschaffen.

In den letzten Jahren ist auch das Angebot der OGS-Plätze stark angestiegen. Waren es 2016 noch 7.360 OGS Plätze kann die Stadt Bonn bereits 8370 Plätze zur Verfügung stellen.

Je mehr wir Kinder wir mit Betreuungsplätzen versorgen können, desto geringer wird auch die Zahl der Kinder zukünftig sein, die später von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind.

Die Ausgaben für das Wohnen nehmen einen großen Teil des verfügbaren Einkommens weg. Insbesondere bei vielen Familien ist die Belastung aufgrund von hohen Mieten in Bonn besonders hoch. Unsere Aufgabe ist es, die gestaltbaren Rahmenbedingungen für Bauherren und Investoren für den Wohnungsbau – und insbesondere den in Deutschland öffentlich geförderten Wohnungsbau – zu verbessern. Mit dem öffentlich geförderten Wohnungsbau erhalten Investoren und Bauherren eine Förderung für Ihren Bau. Dazu verpflichten sie sich, in einen hohen Qualitätsstandard zu bauen, die Miethöhe zu begrenzen und Menschen mit einem bestimmten Einkommen oder Familiengröße in den Häusern wohnen zu lassen. Der öffentlich geförderte Wohnungsbau bekommt heute einen deutlich höheren Stellenwert, da inzwischen viele Menschen Anspruch auf einen Wohnungsberechtigungsschein und eine geförderte Wohnung haben.

Hierzu haben wir in Bonn ein Baulandmodell entwickelt, bei dem wir festschreiben, dass bei Bauprojekten ab einer bestimmten Größe auch 40% der Wohnungen im öffentlich geförderten Wohnungsbau errichtet werden müssen und für Menschen mit Berechtigung zur Verfügung gestellt werden. Die Auswirkungen werden wir erst jetzt spüren, da der Bau von Wohnungen dauert. Dies werden wir aber evaluieren und anpassen müssen.

Da der frei finanzierte Wohnungsbau für Investoren attraktiver ist, bieten wir städtische Grundstücke für den öffentlich geförderten Wohnungsbau für einen reduzierten Marktpreis an. Aber auch kleine Details muss man sich als Stadt ansehen: Welcher Stellplatzschlüssel, d.h. wie viele Autostellplätze müssen für Wohnungen bereitgestellt werden. Wenn hier weniger gefordert wird – und das ist in zentrale Lage in der heutigen Zeit gut vertretbar – steht mehr Baufläche für Wohnungen zur Verfügung.

Wir müssen aber auch sehen, dass es Grenzen für einzelne Kommunen gibt: Die allgemeine Wirtschaftslage können wir nicht ändern und die Verfügbarkeit von Grundstücken ist in wachsenden Städten begrenzt. Die Attraktivität der Stadt verschärft somit die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt. Daher ist es aber auch wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger in einer Stadt von Veränderung und Wohnungsbau überzeugt werden. Beim konkreten Bauprojekt in der eigenen Nachbarschaft gibt es oft Bedenken. Hier muss die Stadtgesellschaft nach Wegen suchen, Wohnungsbau zu betreiben um auch künftig attraktiv zu bleiben.

In die Gesundheit unserer Kinder müssen wir investieren. Eine gesunde Ernährung ist für die Gesundheitsvorsorge äußerst wichtig. In den Tageseinrichtungen wird deshalb das Ganztagsangebot seit Jahren ausgebaut. Kinder erhalten hier eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Ihnen wird zugleich die Bedeutung von gesunder Ernährung vermittelt. Mit einem leeren Bauch kann kein Kind lernen: Mit dem kostenlosen Schulfrühstück haben wir eine Idee des Runden Tisches gegen Kinderarmut umgesetzt und bieten nun an Grundschulen für die Kinder, die zu Hause kein Frühstück erhalten oder Ihr Schulbrot vergessen haben, ein gesundes Frühstück an.

Teilhabe darf nicht vom Geldbeutel der Familien abhängen. Daher sollen auch weiterhin verstärkt familienunterstützende Netzwerke geschaffen und weiterentwickelt werden und Brüche in Biografien vermieden werden. Hierzu müssen die Übergänge zwischen den Bildungssystemen gestaltet werden und der Ausbau der Ganztagsbetreuung und der Ganztagsschulen weiter betrieben.

Dies gilt insbesondere für Kinder unter 3 Jahren, bei Betreuungsangeboten für Kinder mit Behinderung oder bei der Sprachförderung. Kitas und OGS müssen weiterqualifiziert werden als Familienzentren oder als OGS-Plus-Standorte mit gezielter Förderung.

Die Etablierung und der Ausbau der Koordinierungsstelle zum Aufbau von Präventionsketten zur Verhinderung von Kinderarmut ist hierbei besonders wichtig. Diese Koordinierungsstelle, die bereits im Juli 2020 ihre Arbeit aufgenommen hat, wird u.a. über Landesmittel (Projektname  NRW „Kinderstark“) gefördert.


Welche Maßnahmen soll die Stadt Bonn ergreifen, um die Gesundheit sozial- und bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher zu fördern?

Die Förderung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bedarf einer Vielzahl von Maßnahmen: Grundlegend sind bereits die U1 bis U9 Untersuchungen und niederschwellige, mehrsprachige Beratungsmöglichkeiten für die Familien. Ärztliche Versorgungsangebote mit Dolmetscherpool müssen auch in unterversorgten Stadtteilen etabliert bzw. ausgebaut werden, damit Familien auch die Möglichkeit haben, einen Kinderarzt in ihrem Stadtteil zu erreichen. Wichtig sind aber auch die Maßnahmen in den Betreuungseinrichtungen: Hierzu zählen ein gesundes Frühstück und Mittagessen sowie Bildung über gesunde und nachhaltige Ernährung.

Und Kinder und Jugendlichen muss Freiraum gegeben werden für Sport- und Bewegung: Deshalb müssen auch Sportvereine einbezogen werden und Angebote vernetzt werden.


Welche Schritte und Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die Voraussetzungen für ein an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen ausgerichtetes Lernen und Leben in Schulen und an außerschulischen Lernorten zu ermöglichen?

Lernen muss Spaß machen. Daher müssen die Schulgebäude und die Unterrichtsmaterialien weiter in den Fokus genommen werden.

An den Schulen werden wir die Digitalisierung weiter vorantreiben. Wir beschaffen rund 8.000 iPads für Schülerinnen und Schüler, die im Unterricht aber bei Bedarf auch für Lernen auf Distanz eingesetzt werden können. Dazu gehört es aber auch, dass wir die Geräte und die Lernsoftware für Lehrerinnen und Lehrer nutzbar machen und Weiterbildung ermöglichen.

Mit dem Ausbau der Ganztagsangebote müssen wir auch die Fördermöglichkeiten und Angebote für Schülerinnen und Schüler ausbauen: Hier darf nicht nur die Hausaufgabenbetreuung erfolgen, sondern hier muss Platz zum Spielen und zur Förderung von Interessen ermöglicht werden.

Gerade in der jetzigen Zeit erleben wir, dass außerschulische Lernorte immens wichtig sind: In der Zeit von eingeschränkter Betreuung brauchen Kinder brauchen Platz zum Spielen, um die Welt für sich erfahrbar zu machen. Deshalb müssen wir bei der Gestaltung der Stadt mehr als bisher Kinder- und Jugendliche beteiligen.


Welche Schritte und Maßnahmen werden Sie ergreifen, um eine umfassende Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in deren Sozialbereich und in zunehmendem Alter im gesamten Bereich der Stadt Bonn zu ermöglichen und sicher zu stellen? Wie wollen Sie insbesondere die Kinder-und Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit in Bonn stärker unterstützen?

Kinder und Jugendliche haben ihre eigenen Lebensräume, in die Erwachsene nicht immer Einblick haben. Deshalb ist Beteiligung und Demokratiebildung in der Kinder- und Jugendarbeit ein wichtiger Motor. Darüber hinaus kann sie mit ihrer Arbeit dafür sorgen, bestimmte Bevölkerungsgruppen zusammenzuführen und Ängste zu überwinden.

Um die erforderlichen Maßnahmen möglichst nah an die Zielgruppe und unter Berücksichtigung der jeweils örtlichen Gegebenheiten zu entwickeln, sind sowohl dezentrale als auch zentrales Steuerung zu etablieren und auszubauen. Die vorhandenen Fachkräfte und Ressourcen in den Sozialräumen sind am ehesten in der Lage, die Bedürfnisse der Zielgruppe zu definieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, weshalb den Einrichtungen vor Ort so große Bedeutung zukommt.

Es gibt aber auch Themen, die zentral entwickelt und gesteuert werden müssen. Die Nutzung des Internets und Angebote zur Suchtprävention sind bspw. gesamtstädtisch weiter zu entwickeln. Dafür steht jetzt zukünftig die Koordinierungsstelle zur Verhinderung von Kinderarmut und zum Auf- und Ausbau von Präventionsketten ein. Ein wichtiger Baustein wird in diesem Zuge auch die zusätzliche Förderung der Frühen Hilfen sein, um eine noch intensivere Arbeit der Frühen Hilfen zu ermöglichen.


Und wie wollen Sie die Teilhabemöglichkeiten insbesondere sozial- und bildungsbenachteiligter junger Menschen u.a. auch von Migrant*innen fördern und erweitern?

Niemand darf aufgrund von Armut oder Migrationshintergrund benachteiligt werden. Teilhabe ist immer mit Inklusion und Integration verbunden, weshalb allen Einrichtungen für junge Menschen hier eine besondere Aufgabe bei Ihren Angeboten zukommt.

Darüber hinaus wird sich die Koordinierungsstelle der Stadt Bonn wird nicht nur Kindern mit Benachteiligung annehmen, sondern auch Kindern mit Migrationshintergrund. Wie wir alles wissen ist für eine gelingende Integration das Erlernen der Sprache von großer Bedeutung. Viele Kinder haben hier leider immer noch große Schwierigkeiten. Wir werden auch in den nächsten Jahren alles daran setzen, diese Kinder zu fördern, um Ihnen dadurch gute Integrationsmöglichkeiten zu ermöglichen. Dazu wird bspw. gezielt an OGS-Plus-Standorten eine Sprachförderung angeboten.


Wie wollen sie so genannte „Schulverweigerer“, Schüler*innen ohne Abschluss und Migrant*innen gesellschaftlich (re)integrieren?“

Die Ursachen für Schulverweigerung sind vielschichtig. Oft sind es die eigenen Leistungen, die Kinder die Freude am Lernen nehmen, manche Kinder werden aber auch regelmäßig von anderen Kindern gemobbt oder das eigene schwierige Elternhaus sorgt für eine Verweigerungshaltung. Hier müssen Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter und Lehrer die Ursachen für eine Schulverweigerung eruieren, um dann entsprechende Maßnahmen einleiten zu können bzw. besser noch rechtzeitig versuchen ein Abgleiten zu verhindern. Diese Stellen konnten etabliert bzw. ausgebaut werden und wir werden hier auch weiterhin in dieses Auffangnetz investieren.

Seit dem Frühjahr 2015 wird in Kooperation von Agentur für Arbeit (Berufsberatung), Jobcenter (Vermittlung U 25) und Amt für Kinder, Jugend und Familie (Beratungsstelle für Jugendberufshilfe) die Jugendberufsagentur betrieben, um Hilfen für arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Jugendliche und junge Erwachsen „unter einem Dach“ anzubieten. Ziel der Jugendberufsagentur ist es, für Jugendliche und junge Erwachsene ein ganzheitlich orientiertes und abgestimmtes Informations-. Beratungs-, Förder- und Begleitangebot zu gewährleisten. Dies werden wir gemeinsam weiter entwickeln.


Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Umsetzung aller Kinderrechte in Bonn zu verbessern?

Beim jährlichen Bonner Aktionstag zum Weltkindertag wird immer wieder über die Bedeutung der Kinderrechte informiert. Diese Veranstaltung soll primär die Kinderrechte in den Fokus der Gesellschaft rücken.

Während der diesjährigen Corona-Krise wurde und wird deutlich, wie schnell man die Kinder vergisst und ihre Rechte vernachlässigt. Kinder sind unsere Zukunft und wir müssen sie entsprechend fördern und ihnen die besten Bedingungen des Aufwachsens ermöglichen.

In diesem Jahr fällt der Weltkindertag leider aus, weil bei einer solch großen Veranstaltung für die Sicherheit der Teilnehmenden nicht garantiert werden kann. Stattdessen hat die Stadt Bonn eine große Plakataktion zu den Kinderrechten in Auftrag gegeben. Darüber hinaus wird überall in der Stadt ein 12sekündiger Videospot zu den Kinderrechten ausgestrahlt. Insbesondere wird dies über Infoscreens geschehen.

Ganz zentral bei den Kinderrechten ist die Beteiligung: Ein Kind hat Bedürfnisse und Wünsche. Diese sind berechtigt und die Gesellschaft muss diese aufnehmen und bei der Umsetzung beteiligen. Nur wenn ein Kind in die Lage versetzt wird, seine Bedürfnisse auszudrücken, kann es auch beteiligt werden. Im ämterübergreifenden Verwaltungshandeln hat sich in den letzten Jahren zwar einiges getan. Neue Spielplätze werden heute ganz selbstverständlich mit Kindern geplant. Das ist sicherlich ein Anfang, aber hier muss noch mehr kommen: Ein Konzept zur Kinder- und Jugendbeteiligung, bei dem die Beteiligung aber nicht „vorgeschoben“ wird.


Wie wollen Sie die Landes- und Bundesregierung zu größerer Unterstützung anregen, um zum einen die massiv bestehende Kinderarmut ins Bewusstsein zu rufen als auch eine Bekämpfung dieser zu forcieren?

Zur Bekämpfung der Kinderarmut wird eine gesellschaftliche Ausrichtung benötigt, die sich auf Dauer für mehr Beschäftigung, Investitionen in eine familienfreundliche Infrastruktur und für eine aktive – auch materielle – Unterstützung einsetzt. Hier könnte kurz- bis mittelfristig auch eine Kindergrundsicherung helfen, die einen Zuschlag zum Kindergeld für einkommensschwache Familien bewirkt. Dies sind jedoch bundes- oder landespolitische Aufgaben. Die Corona-Pandemie hat aber gezeigt, wie sehr Familien in Deutschland belastet sind. Dies müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen und auf allen Ebenen zu Weiterentwicklungen kommen. Daher müssen wir auch in Bonn bspw. durch den Fachtag zur Kinderarmut weiterhin alle Akteure unterstützen, eine starke Stimme für Kinder, Jugendliche und Familien zu sein.